Die einfarbige Schildpattkatze

von Raymonde Harland

erschienen in "katzen extra"5/96 und der "Edelkatze" 5/96

und "our cats"5/96

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 Sie haben richtig gelesen, es gibt sie: die „einfarbige Schildpatt“, sogar in zwei unterschiedlichen genetischen Ausführungen.

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Begonnen hatte alles mit einem Wurf im November 1995 in meiner kleinen Maine-Coon-Hobbyzucht. Aus der Verpaarung black-silver-tabby Katze und red-silver-tipped /white Kater fielen ein Black-Tabby mit Weiß und ein Silber-Schildpatt-Tabby mit weiß. Das Wissen vom letzten Genetikkurs noch frisch im Kopf war mir klar, daß schwarz x rot schildpatt Mädchen ergibt. (Im weiteren Txt verwende ich der Einfachheit halber nur die Farben Schwarz, Rot und Schildpatt. Die aufgezeigten genetischen Abläufe gelten natürlich auch für Blau, Chocolate, Lilac bzw. Creme und ie dazugehörigen Blau/Creme, Chocolate/Rot, Lilac/Creme- Varianten, egal, ob mit oder ohne Silber, Agouti, Weiß oder Maskenfaktor) Bei einem roten Vater mussten die schwarzen Kitten Kater sein, doch der kleine Black-Tabby mit Weiß sah eher nach einem Mädchen aus, oder war es ein Kater mit nicht ausgebildete Hoden?

In den nächsten Wochen beobachtete ich dieses Kitten ganz besonders besorgt, doch weder zeigten sich sich Hoden noch rote Haare, die eine eindeutige Geschlechtsbestimmung möglich gemacht hätten. 

Die Tierärztin verstand meine genetischen Überlegungen überhaupt nicht. Biologisch war diese Kitten einwandfrei ein Mädchen. Und so meldete ich es als Schildpatt-Tabby mit Weiß in der Zuchtbuchstelle und hoffte, dass die roten Haare sich noch zeigen werden. Die Fußballen bei dem Kitten waren übrigens rosa, aber dort saß auch die Weiß-Scheckung, es war also auch kein eindeutiges Zeichen für Rot. Ich tröstete mich trotzdem mit der Überlegung, dass die roten Anteile ja auch unter der Weiß-Scheckung verborgen sein konnten.

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In Gesprächen mit anderen Züchtern und dem Zuchtausschuss erfuhr ich, dass das Phänomen der Schildpatt ohne rote Haare auch bei anderen vorgekommen war. Eine Colourpoint-Züchterin hatte nach einer stundenlangen Untersuchung des Tieres bei Sonnenschein und Kunstlicht aufgegeben, als kein rotes Haar zu finden war, und das Tier als Liebchen verkauft. eine Maine-Coon-Züchterin hatte ihre "einfarbige Schildpatt" behalten und auch schon einen Wurf mit ihr gehabt. Sie vererbte wie eine schwarze Katze. Im Stammbaum der Tiere war sowohl der genotypische, also schildpatt, als auch der Phäno-Typ, also schwarz eingetragen. Eine Lösung, mit der auch der Zuchtausschuss nicht glücklich war. 

Nun packte mich die Neugier, es musste doch eine Erklärung für diese "einfarbige Schildpatt" geben. Nach dem Wälzen diverser Bücher entdeckte ich sogar zwei Erklärungen:

Eine Schildpatt fällt aus einer Verpaarung eines schwarzen Katers XoY mit einer roten Katze XOXO bzw. einer Schildpattkatze XOXo oder aus der Paarung eines roten Katers XOY mit einer schwarzen XoXo bzw. einer Schildpattkatze XOXo. Das Allel O sitzt also immer auf dem X-Chromosom, von dem Katzen zwei, Kater nur eines haben. Deshalb wird es geschlechtsgebunden vererbt. Das O-Alel bewirkt in einem biochemischen Prozess die Umwandlung des schwarzen Farbstoffes Eumelanin in Phäomelanin (Melanin) und die Haare erscheinen rot. Hat eine Katze auf jedem X-Chromosom ein O, so ist sie völlig rot. Ist nur auf einem X-Chromosom ein O und auf dem andere o, so passiert bei dem Chromosomen-Kompensationsmechanismus folgendes: In den einzelnen Körperregionen wird eines der beiden X-Chromosomen- und damit auch eine Farbe- nach dem Zufallsprinzip ausgeschaltet und in ein Barr-Körperchen umgewandelt (Lyon-Hypothese). Die Katze ist rot und schwarz, also schildpatt. Dieses Zufallsprinzip kann züchterisch nicht beeinflusst werden, allenfalls die Gene für Weiß-Scheckung haben darauf einen gewissen Einfluss, dass sich größere Farbflecken einer Farbe zusammenballen, aber das ist ein anderes Thema.

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Der Zufall kann natürlich auch bewirken, dass sämtliche X-Chromosomen mit dem O-Allel abgeschaltet werden. es entsteht eine einfarbige Schildpatt, in diesem Fall schwarz vom Phänotyp. Werden die X-Chromosomen mit den o-Allel abgeschaltet, ist die Katze rot vom Phänotyp. Wir sehen natürlich nur die Auswirkungen in den Hautzellen; ob die Katze in den anderen Zellen, besonders den Geschlechtszellen, noch genetisch schildpatt ist, kann nur eine Testverpaarung oder eine Laboruntersuchung zeigen. 

Die zweite Variante der "einfarbigen Schildpatt" entsteht in einem noch früheren Stadium der Zeugung durch Chromosomenaberration. 

Die normalen Zellen einer Katze enthalten 38 Chromosomen, die Geschlechtszellen (Gameten) nur die Hälfte. Mit Ausnahme des X-Chromosoms sind also jeweils zwei identische Chromosomen vorhanden. Eines von der Mutter, eines vom Vater. Die Geschlechtszellen mit nur einem Chromosomensatz entstehen durch Teilung, Meiose. Bei dieser Teilung entstehen normalerweise bei der Katze Eier /Ova) mit 19 Chromosomen, darunter ein X-Chromosom. Beim  Kater entstehen Spermien mit 19 Chromosomen, darunter entweder ein X - oder ein Y-Chromosom, aus dem bei der Vereinigung (Zygoten) Katzen (XX) bzw. Kater (XY) entstehen. Bei diesen Prozessen können auch Mutationen entstehen, die auch die Geschlechstchromosomen betreffen können. So können Ova mit zwei X-Chromosomen oder völlig ohne X-Chromosom entstehen. Oder Spermien ohne X- bzw. Y-Chromosom, bzw. mit beiden Chromosomen.

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Bei der Vereinigung gibt es dann verschiedene Kombinationsmöglichkeiten:

Treffen ein Spermium und ein Ovum aufeinander, die beide keine Geschlechtschromosomen enthalten, so kann kein lebensfähiges Kitten entstehen. Trifft ein Y-Spermium auf ein Ovum ohne Geschlechtschromosom, so kann ebenfalls kein lebensfähiges Kitten entstehen. Trifft ein X-Spermium auf ein Ovum mit  zwei X-Chromosomen, so entsteht eine Superfemale Katze. Trift ein Y-Spermium auf ein Ovum mit zwei X-Chromosomen oder trifft ein XY-Spermium auf ein normales X-Ovum, so entsteht ein Kinefelter XXY. Sind die Eltern rot und schwarz, wird dies auch äußerlich sichtbar als Schildpattkater. 

Trift ein X-Spermium auf ein Ovum ohne X-Chromosom bzw. ein Spermium ohne Geschlechtschromosom auf ein normales X-Ovum, so entsteht X-Monosomie. Waren die Eltern rot und schwarz, wird dies auch äußerlich sichtbar als "einfarbige  Schildpattkatze". Diese durch X-Monosomie entstandene Katze ist natürlich auch genetisch einfarbig, denn sie hat nur ein X-Chromosom, also nur eine Farbe. Die bei normalen Vereinigungen erfolgende Abschaltung eines X-Chromosoms entfällt einfach. Sie vererbt natürlich auch als einfarbige Katze. X-Monosomie ist nur durch eine Laboruntersuchung zu erkennen, denn bei ihnen fehlen natürlich die Barrkörperchen in den Zellen.( Es gibt noch weitere Chromosomenabberrationen, auf die ich hier aber nciht näher eingehen will). Diese auch "X-Null-Katzen" genannten Tiere sind in der Regel kleiner und unfruchtbar. 

Die zwei Formen der "einfarbigen Schildpatt" werfen natürlich einige Fragen bei der Stammbaumeintragung auf, über die sich der Zuchtausschuss Gedanken machen müsste. Ich schlage vor, die Farbe nach dem Genotyp einzutragen, also bei der Zufallabschaltung einer Farbe in den Hautzellen schildpatt und bei der X-Monosomie die übrig bleibende Farbe. Die hat allerdings zur Folge, dass die ersteren auf Ausstellungen der meisten Verbände nicht gezeigt werden können oder dort sehr benachteiligt sind.( In der FIFé kann seit dem 1.1.96 nach dem Phänotyp unabhängig vom Genotyp ausgestellt werden). Es hätte aber den Vorteil, dass bei den Nachkommen keine "unerklärlichen" Farben auftauchen können. 

Schildpattkater sind berühmt, sie werden auf Ausstellungen bestaunt, besonders wenn sie zeugungsfähig sind. Wer kennt nicht den Perser-Schildpatt-Kater "Indra" oder den Cornish-Rex-Kater "Poulhu", ohne den diese Rasse heute nicht bestehen würde. 

Es gibt aber auch berühmte "einfarbige Schildpatt", z.B. die German Rex "Jeanett vom Grund", die aus der Verpaarung zwischen dem rotgestromten "Bonifacius" und der schwarzen "Beatrice" stammte. Sie war schwarz - statt, wie erwartet, schildpatt - und erhielt als erste German Rex auf einer internationalen Ausstellung 1970 in Prag ein CAC.

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Sie sehen, Sie brauchen ihre "einfarbige Schildpatt" nicht zu verstecken! Als genetische Besonderheit sollte sie genau so viel Beachtung finden, wie ihr männliches Pendant: der Schildpattkater. 

P.S. Nun, wo ich mich so in dieses Thema hineingekniet habe, zeigen sich nach acht Monaten die ersten roten Haare bei meiner Kleinen. Typisch Maine Coon: Immer zu einem Streich aufgelegt! Aber es gibt sie doch, die "einfarbige Schildpatt". Lebt bei Ihnen vielleicht so ein Wundertier? Ich würde mich freuen, davon zu hören.